Der Abschied (WIN 6/99)

Es gibt Tage, da mag selbst der hartgesottene Kolumnist weder lustig sein, noch ironisch, noch zynisch. Heute findet die letzte Schutzverletzung statt. Denn wo es kein Heft mehr gibt, kann man auch keine letzte Seite mehr füllen. Die WIN geht, und die Redaktion verabschiedet sich.

Ein billiger Rotwein steht auf dem Tisch. Zwei Gläser. Eines davon halb ausgetrunken, eines leer. Ein paar Krümel liegen auf der Glasplatte, und Wachs, das von einer übergelaufenen Kerze stammt. Der Abend zuvor war traurig und endete mit dem, womit alles endet, was man mag: „Wir können ja Freunde bleiben.“ Sie ist weg, von einem Monat auf den anderen. Sie wird mir fehlen. Ich mochte ihr Aussehen, hatte mich an die Kanten und Macken gewöhnt. Nicht einmal, als sie sich neu schminkte, jünger aussehen wollte, störte es mich. Auch wenn sie etwas dick aufgetragen hatte und vielleicht nicht zu 100 Prozent jeden Geschmack traf. Denn ich wußte, daß sie in ihrem Inneren immer noch die Gleiche geblieben war, selbst als sie sagte, nun sei alles ganz anders.

Keine Vorwürfe.

Jedes Produkt hat seinen Zyklus. Irgendwann schlägt jedem Magazin die Stunde. Auch der WIN. Alles, was die WIN sagen konnte, ist gesagt, alle Workshops sind geschrieben, alle Software getestet. Feierabend. Zurück bleiben eine Redaktion, die sich schon jetzt in alle Winde verstreut hat und seltsam leere Büros. Ich trete auf den Balkon hinaus und lasse mir die feuchtschwere Nebelluft der Münchener Schotterebene um die Nase wehen. Manchmal gibt sogar der April vor, er wäre November.

Es ist trübe draußen. Und die Luft trägt Schwaden der Selbsterkenntnis: Klicken Sie auf Speichern und die Bedienung ist gewöhnungsbedürftig sind keine Sätze derer man sich im Deutschunterricht kommender Jahrhunderte erinnern wird.Wundern Sie sich nicht, wenn Sie die WIN im nächsten Monat nicht mehr am Kiosk finden. Es wird ein anderes Magazin dort liegen. Vielleicht eines, das gerade neu auf den Markt gekommen ist, vielleicht ein altes, das es schon seit vielen Jahren gibt.

Jetzt steht der allerletzte Schritt an im Dauerworkshop WIN: Drücken Sie [Alt] – [F4] und schließen Sie langsam das Heft. Vielleicht legen Sie die letzte WIN beiseite und schauen in zehn Jahren noch einmal hier herein. Sie werden sich bestimmt darüber amüsieren, welche Probleme und Themen wir Computer-Leute 1999 hatten.

Bis zum nächsten Mal in einem anderen Magazin — wir hoffen, Sie hatten Spaß mit uns und konnten viele Anregungen umsetzen. Es war schön, für Sie Themen zu sammeln, zu recherchieren, zu schreiben und jeden Monat ein Heft an den Kiosk zu bringen.

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