Glosse: Linux für Männer

Da hat man das kleine Päckchen in der Hand und spürt pure Verlockung. „Installier mich,“ sagt Linux und schon ist es um die Nacht geschehen.

(Internet Pro 2/99)

Ein ganz normaler Arbeitstag. Die Sonne scheint und es ist gerade so, als bahne sich ein Motivationsschub an. Doch da! Plötzlich sehe ich es bei meinem Kollegen auf dem Schreibtisch: Ein noch nicht ausgepacktes Redhat Linux. Und wie in jedem guten Büro liegt auch noch in irgendeiner Ecke ein 60er Pentium. Schon ist es geschehen. Die Arbeit soll Arbeit bleiben, jetzt wird Linux installiert. Wozu? Keine Ahnung. Unser NT-Server läuft hervorragend, versorgt alle mit Dateien, verbindet zwölf Rechner mit dem Internet und beherbergt den Intranet-Server.

Aber jeder hat mir gesagt: Installier Linux. Das ist besser, schneller, zuverlässiger und hat alles schon dabei, was man für das Netz braucht. Also rauf damit. Ohne meinen Kollegen zu fragen, reiße ich 16 MByte RAM aus seinem Rechner, packe sie in meinen Pentium, werfe die CD ein und installiere. Und wirklich: Die Installation war schnell beendet. Nur noch ans Netz anschließen, dabei den Bürobetrieb eine halbe Stunde lahmlegen und fertig. Inzwischen wird es dunkel draußen. Nun habe ich einen Linux-Rechner im Netz. Das mächtigste aller Betriebssysteme. Und irgendwie — ich traue es mich garnicht zu sagen — irgendwie ist Linux männlich. Und das liegt nicht nur an den langen Kommandozeilen.

Linux ist eine Herausforderung an Geist und Seele. Wer sich bislang nur leidlich mit NT herumgeschlagen hat, trifft hier auf eine Wand aus Konfigurationsdateien und Konfigurationsprogrammen, die Konfigurationsdateiverwaltungsprogramme konfigurieren. Und die wiederum zu konfigurieren — das ist die wahre Herausforderung. Da lacht man über Weltumsegler oder Klippenspringer.

Doch die Herausforderung ist mir über den Kopf gewachsen: Keiner meiner Linux zugeneigten Freunde hat mir auch nur zart angedeutet, wie er es mit den Konfigurationsdateien angestellt hat. Handbücher? Fehlanzeige. Alle hören genau dort auf, wo es knifflig wird. Samba einrichten? Keine Sache. Apache — alles easy. Aber verdammt nochmal, wie geht das mit Sendmail. Diese Nacht ist Vollmond.

Der erste Blick in die Konfigurationsdatei erfüllt mich mit großer Ehrfurcht. Der Blick in die Dokumentation auch: Man möge doch ein Makro aus vorgefertigten Konfigurationsdateichen basteln, das dann wiederum die Konfigurationsdatei schreibt. Ich hab’s geahnt. Doch was soll das. Echte Männer brauchen keine Dokumentation und schon gar keine Makros. Schließlich soll Sendmail erst einmal auch ohne Anpassung funktionieren, schreibt das Redhat-Büchlein. Fehlanzeige. Nichts geht. Das Mistding nimmt keine Mails an.

Erst nach drei Stunden suchen, fluchen bis zur Heiserkeit und einem langen Ausflug in die Newsgroups komme ich auf die richtige Idee. Sendmail verträgt von Haus aus keine Großbuchstaben in Usernamen. Warum steht das nirgends? Und wie konnte ich nur annehmen, daß meine den NT-Accounts angelehnten Usernamen bei Sendmail in Ungnade fallen. Den Gedanken, alle Accounts auf dem NT-Rechner zu ändern, verwerfe ich schnell wieder. Und den Sendmail-Parameter für Großbuchstaben zu setzen. Nein, ich habe das Gefühl, daß die Linux-Gemeinde so etwas nicht mag und mich dann nicht akzeptiert. Na gut. Dann gibt es heute eben keine POP-Mail. Die ersten Vöglein zwitschern. Im Osten schämt sich die Morgenröte herauf.

Ein Freund sagte einst zu mir: Nimm ein anderes Programm. Aber wo bleibt da dieses unnachahmliche Gefühl, nicht einmal Halbwissen zu haben. Ich kriege das schon noch hin! Und dann erzähle allen meinen Freunden mit ihren NT-Weicheierkisten, daß sie doch Linux installieren sollten. Denn Linux ist doch viel schneller, einfacher und stabiler. Nur von Sendmail erzähle ich ihnen nichts.

 

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