Linux basisdemokratisch

Linux in den Bundestag – und Microsoft schreit „Aua“. Doch die Empfehlung, Linux auf den Servern einzusetzen, ist ja noch gar nichts. Basisdemokrat Jan hat viel weiter gehende Ziele.

Diese Glosse wurde veröffentlicht in Internet Professionell 5/2002

Jan ist aufrechter Demokrat, ja in seiner Jugend war er sogar ein richtiger Friedensbewegter. Er war brav bei jeder Anti-Pershing-Demo dabei, liebäugelte mit den Jusos – besser gesagt mit deren Vorsitzender — und er hat sich in der Bibliothek mal Marx’ Kapital angeschaut. Noch heute findet er die dicken Bücher beeindruckend.

Doch mit den Jahren kam es wie es kommen musste und Jan kümmerte sich um andere Dinge als Politik. Das Feindbild des Westens war weg, das Wettrüsten machte keinem mehr so recht Spaß und die Linke verlief sich. Die einen verliefen sich in Splittergruppen, die anderen in die neue Mitte.

Jan war unpolitisch geworden und manchmal hatte er ein schlechtes Gewissen dabei. So eine Art schlechtes Gewissen, das die politisch korrekten schon damals jedem machten, der wagte, in den Ferien bei Siemens zu arbeiten. „Rüstungskonzern“, sagten sie zwischen zwei Zügen aus der Drum-Selbstgedrehten und stießen dabei seufzend, scharf den Rauch aus, so wie ein Lehrer, der die Klassenarbeit mit einer 6 darauf zurückgibt.

Jans politische Aktivitäten nahmen nach Abi und Zivildienstzeit stetig ab. Mittlerweile beschränkten sich auf ein Mal „Monitor“ gucken alle zwei Monate. Ansonsten war er solidarisch. Und das musste reichen.

Doch das ist jetzt vorbei. Ein Ruck ging durch Jan und plötzlich war er wieder da. Der alte Kampfgeist. Und den Kampfgeist muss er ausgerechnet mir demonstrieren.

„Deinen Microsofties haben wir es aber gezeigt“, fängt Jan den Abend an.

Mir schwant Böses. Aber als ich mich hilfesuchend in der Kneipe umdrehe, um nach meinen Freunden zu suchen, stehen die plötzlich alle mit dem Rücken zu mir.

„Im Bundestag werden die jetzt Linux einsetzen. Das ist freie Software für ein freies Land. So richtig basisdemokratisch von vielen Programmierern gebaut.“

„So weit ich weiß, gibt es da bislang nur eine Empfehlung. Und Linux soll nur auf einigen Servern zum Einsatz kommen.“

„Jaaaa“, sagt Jan, atmet scharf aus und sieht aus, als wolle er sich gleich eine Zigarette drehen. „Aber das ist ja nur der erste Schritt. Die werden Linux bald überall einsetzen. Denn das System ist im Sinne demokratischer Tradition entstanden. Genau das gebührt einem hohen Haus.“

Ich versuche zu kalauern. „Genau Jan, und statt Bürgerrechte gibt es bald Benutzerinnen- und Benutzerrechte.“

Das hätte ich nicht sagen dürfen.

„Da triffst Du einen wunden Punkt. Aber auch das wird sich bald ändern. Ich bin Mitglied bei der ILDF, der Internet Linux Democracy Force. Und wir werden das System basisdemokratisch machen.“

„Jan, Du hast keine Ahnung von Linux.“

„Das ist ja gerade mein Vorteil. Ich bin unvoreingenommen und mein Geist ist frei.“

Warum hat Jan heute eigentlich diese 15 Jahre alten, dünnen Wildleder-Boots an?

„Pass’ auf“, holt Jan aus, als wolle er mir die Entstehung des Universums in zwei Sätzen erklären. „Wir werden schrittweise die eingeschränkten Benutzerinnen und Benutzerrechte abschaffen. Es kann ja nicht angehen, dass ein Administrator, ein Big Brother, über das Wohl und Wehe von Benutzerinnen und Benutzern und Gruppen entscheidet.

Zunächst werden wir also die root-Privilegien abschaffen und dafür die Benutzerinnen- und Benutzergruppen stärken. Jeden Monat wählen die Gruppen ihre Sprecherin oder ihren Sprecher. Die treffen sich regelmäßig, um über das System zu diskutieren. Vielleicht führen wir auch eine Windows-Gruppe ein. Wir wollen ja niemanden ausschließen“, sinniert Jan kurz, „am besten legen wir einfach eine Quote fest.“

Ich bin gerührt ob Jans staatsmännischer Umsicht. Es wundert mich, dass Jan heute einen grob gestrickten Wollpulli in zwölf Grauschattierungen trägt.

 

„Also gut“, und Jan fährt fort:

„Alle Änderungen im System müssen erst Mal nach dem Konsensprinzip beschlossen werden. Jedes Update, jede neue Software…“

„…vielleicht auch jeder Festplattenzugriff, hm?“, versuche ich ihm verbal zu entkommen.

Jan sieht mich streng durch seine runde Nickelbrille an. Irgendwie sind seine Haare länger geworden und er hat einen kurzen Vollbart.

„Blödmann. Wir machen das richtig basisdemokratisch. Das geht mit dem Computer prima: Jede Userin und jeder User hat eine Stimme. Und wenn wir keinen Konsens bekommen, müssen wir halt alles so weit ausdiskutieren, bis jeder und jede zufrieden ist. Im letzten Schritt öffnen wir dann alle Dateien. Wer Kritik am Datei-System hat, soll sie auch gleich umsetzen dürfen.“

Jan holt tief Luft: „Und dann soll Microsoft mal sehen, wie die mit ihrem undemokratischen Windows da weiter kommen…“

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