Mehr Deutschsprachige Software-Titel (WIN 4/97)

Deutsche Liedermacher fordern einen höheren Anteil deutschsprachigen Liedguts im Radio. Recht haben sie. Denn der Durchschnittshörer versteht Niedeckens kölsches Geschnoddere oder Kunzes hochtrabende Gymnasialphilosopie besser als den fröhlich dahingerappten Smash-Hit. Die Leute sollen schließlich etwas lernen.

WIN schließt sich diesem Trend an und fordert mindestens 40 Prozent deutschsprachige Software-Titel auf dem Markt. Damit wären die Lotus Smartsuite und andere Software-Pakete am Ende. Denn ein „Lotus Schlauer Anzug“ oder Softmakers „Weichmacher Büro“ jagen nicht nur empfindlichen Germanisten kalte Schauer über die gramgebeugten Rücken.

Marktführer müßten dann einsehen, daß ihre Titel eingedeutscht schlicht schwachsinnig sind — „Microsoft Worte 7.0 für Fenster 95.“ Es muß also eine bessere Lösung gefunden werden als die 1:1-Übersetzung.Werfen wir einen Blick über den Zaun, genauer in die Filmbranche.

Die Zunft deutscher Filmverleiher hat langjährige Routine im Umsetzen von US-Titeln. Sei es bei Komödien: „Airplane — die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ oder Actionfilmen „Die Hard III — jetzt erst recht.“ Die Verleiher besitzen erstaunliche Sprachsicherheit.

Erster Umsetzungs-Kandidat ist der Internet Explorer von Microsoft. Als „Zwischennetz Erforscher“ hätte er kaum Chancen. Dagegen garantieren Titel wie „Internet Explorer — Die unglaubliche Reise durch das verrückte Internet“ Mega-Absätze. Die nächste Version heißt dann „Internet Explorer II — Rückkehr der Wartezeiten.“ „Datenbank-Report 13 — die geheimsten Wünsche boolescher Variablen“, „Auf dem Desktop gibt’s koa Sünd“, „Laß‘ booten Kumpel“ oder „Softram — Geheime Sehnsüchte“ zeigen, welch sinnliches Potential in der neuen Nomenklatur steckt.

Komplexe Verfahren lassen sich endlich plakativer beschreiben. „ODBC“ heißt jetzt „Der mit den Datenbanken spricht“, OLE bekommt den Zusatz „Objekte wilder Begierde“ oder für Kalauer-Fans „OLE – das kommt mir spanisch vor“. Microsoft bemüht sich, seinen Programmiersprachen attraktivere Namen zu verpassen: „C++ — keiner kennt die Syntax“ birgt weitaus mehr Dramatik als der englische Originaltitel.

Visual Basic erreicht mit dem Titel „Von der ungeheuren Leichtigkeit des Programmierens“ auch kulturbeflissene Anwender. „Fortran — sie wissen nicht was sie tun“ steht ebenfalls bald wieder im Software-Regal.Intel hat ebenfalls Interesse an den neuen Titeln angemeldet. In einem geheimen Marktforschungspapier testet der CPU-Multi Titel für neue und alte Prozessorgenerationen. Unser Favorit ist „Pentium — für eine Handvoll Bugs“. Am Titel „MMX — der turbogeile Gummirechner für unheimlich hippe Hardware-Freaks in bunten Anzügen“ sollte das Intel-Marketing allerdings noch ein wenig feilen.

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