Ich kann meinem Mathematik-Lehrer von einst nachfühlen, wie es in seinem Innersten, weit unter seinem orange-hellgrün gestreiften Strickpulli ausgesehen haben muss. Wie es für in war, als er uns mit glänzenden Augen und mit geheimnisvoll gesenkter Stimme die Geheimnisse der Computer beibrachte.
Blöd wie die Lehrplaner damals dachten, verkomplizierte man den Spaß an den Bytes mit Flussdiagrammen und Struktogrammen, die aussahen wie ineinandergepuzzelte Bauklötzchen. Diese Diagramme sollten uns Respekt lehren vor den Geheimnissen der Schaltkreise. Und sie sollten uns klarmachen, dass Computer in erster Linie dazu da seien, um Quadratwurzeln zu ziehen und Iterationen zu berechnen. Wer programmieren wollte, musste vorher ein Schaubild zeichnen und planen. Erst dann durfte er Zeilennummer für Zeilennummer den Commodore 4016 bemühen. (Probieren Sie einmal selbst: die Rechtschreibprüfung von Winword 2000 erkennt nicht einmal mehr Commodore – Microsoft hat doch vor gar nichts Respekt.)
Zurück zu den Emotionen meines Mathelehrers. Den Augenblick, als wir ihm einen „poke 32768,65“ vorführten, werde ich nicht vergessen. Kein Diagramm, nix geplant, dafür direkt in den Bildschirmspeicher geschrieben. Und nun fingen wir Bälger auch noch an, Unsinn mit dem Computer zu treiben. Wir begannen, diese Teile zu benutzen. Unbefangen, respektlos und kreativ – und nur gelegentlich etwas gewalttätig, wenn die Floppy Nachhilfe beim Lesen brauchte.
Ich weiß, wie sich mein Mathelehrer damals gefühlt haben muss. Denn mit einem ähnlichen Respekt wie er damals das Flußdiagramm an die Tafel kreidete, betrachte ich jeden Arbeitsmorgen mein Handy. Ja, es ist immer noch geladen, ja, es hat noch ein Netz. Wenn ich will kann ich sofort damit telefonieren. Aber es bleibt dem Ernstfall vorbehalten. Und so ein Telefonat plane ich vorher: Was will ich sagen, wie lange will ich wohin telefonieren. Eine SMS-Nachricht hatte ich auch schon einmal verschickt. Das war wirklich dringend.
Und dann erlebe ich, wie sich respektlose junge Menschen über diese Wunder der Technik hermachen. Jugendliche, die nicht einmal mehr wissen, wie es war, mit 6 Stunden Standby und einer knappen Stunde Sprechzeit auf einem 2000-Mark-Handy auszukommen.
Und was treiben Sie, anstatt ordentlich im Auto zu telefonieren und gelegentlich einen 36-Tonner zu schneiden? Sie schicken SMS-Nachrichten. An sich ist dieses 160-Zeichen-Gestammel ja nichts schlimmes. Im Gegenteil: Die Kids lernen endlich, sich knapp und präzise auszudrücken.
Was mich aber wirklich fertig macht, ist die Geschwindigkeit, in der die Handy-Jünglinge ihre Daumen über das Tastatürchen jagen – immer wissend, wann man für ein „o“ dreimal und für ein „m“ einmal drückt. Ohne Rücksicht auf Informatiker der MF-102-Generation lassen sie es sich auf geradezu geschmacklose Art heraushängen, dass sie nicht nur die winzigen Gummiknubbel treffen, sondern auch noch koordiniert genug sind, diese in der richtigen Häufigkeit zu drücken.Dagegen sind unsere Daddelefahrungen an Pac Man, Donkey Kong und Space Invaders Koordinations-Kinderkram.
Welche Nachrichten die jungen Leute von heute verschicken, bleibt ihr Geheimnis. Vermutlich planen sie die eine oder andere Verabredung. Heimliche Revolutionspläne oder Absprachen, wie der nächsten Castor-Behälter einzubremsen sei, finden nicht statt. Solche Sachen bleiben uns Birkenstock-Treter-Vetretern der 80er vorbehalten. Außerdem – die Revolution plant man man per E-Mail. Denn: einer revolutionären Bewegung würden niemals 160 Zeichen pro Nachricht ausreichen, um theoretischen Background nebst gegenseitiger Kritik darzulegen und sich nach megabytschwangeren Diskussionen in vierzig Splittergruppen auzuteilen.
Mein einziger Trost: Einst wird ein anderer genau dasselbe schreiben wie ich heute. Er wird erzählen, wie er damals die alten Säcke mit seinen SMS-Künsten verblüfft hat. Aber er wird sich beschweren darüber, wie respektlos und ekelhaft geschickt die Kiddies ihre Gehirnimplantate bedienen, um wie selbstverständlich den Teleporter zu rekonfigurieren oder Schokoladeneis mit Himbeergeschmack zu synthetisieren.
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