Glosse: Suche nach Intelligenz (Internet Professionell 1/2001)

Seti at Home: Millionen von Heimcomputern suchen im Datenrauschen eines Radioteleskops nach Zeichen von Intelligenz. Doch nicht nur im All sollte man nach verstehenden und denkenden Wesen suchen.

Mein Kollege Richie hat Schuld. Er hat als erster den Seti-Bildschirmschoner auf seinem Arbeits-PC installiert. Und dann auf seinem Testgerät und noch auf seinem Mac und schließlich auf seinem Notebook. Seitdem glühen die Prozessoren rot. Für mich war das blanker Unsinn. Warum soll ich meine Rechner mit dem Datenballast aus dem All beladen und sie irgendwelchen Unsinn rechnen lassen.

Doch dann sagte Richie etwas: „Ich möchte die 50-Prozent-Marke knacken und mehr Ergebnisse liefern als die Hälfte aller anderen Seti-Nutzer.“ Stolz zeigte er mir seinen Status bei Seti: Platz zweimillionen vierhundertzweiundneunzigtausend dreihundertdreiundzwanzig. Mit ihm lagen etwas mehr als 80.000 weiterer Seti-Jäger gleichauf.

Richie hätte mir das nicht zeigen dürfen. Eine Highscore-Liste weckte meinen Ehrgeiz. Ganz schnell installierte ich Seti auf meinem PC, und auf dem Windows-2000-Server, und auf unserem Linux-Server, meinem Mac, meinem Linux-Testrechner und natürlich auf meinem 700-MHz-Spiele-Rechner zu Hause.

Seitdem rechnen Richie und ich um die Wette. Derzeit liegen wir beide gleichauf mit fünf abgelieferten Datenpaketen auf Platz 1.132.114. Wir haben die 50-Prozent-Grenze übersprungen, gehören zur besseren Hälfte der Seti-Späher. Und ich habe aufgeholt, denn mein Pentium-266-Linux-Rechner arbeitet mit einer Kommandozeilenversion des Programms und hängt damit Richies Windows-Bildschirmschoner locker ab.

Auf meinem Arbeitsrechner habe ich das Programm ebenfalls auf Dauerbetrieb geschaltet. Das hat kuriose Verzögerungen beim Tippen zur Folge. Erst zehn Anschläge später erscheint auch der Text auf dem Schirm. Das erinnert an die Zeit damals im Chat mit 300 Baud, als man einen Satz eintippte und die Buchstaben erst Sekunden später auf dem Schirm erschienen.

Das Konzept hinter Seti at Home ist ein prima Vorbild für das verteilte Bearbeiten komplexer Daten mit der gesammelten Rechenpower aller persönlichen Computer rund um den Globus. Damit erschließen sich die Wissenschaftler Rechenpower, die sie sonst teuer mieten müssten. Nutzer daheim und in den Büros lasten endlich ihre in Arbeitspausen vor sich hin trödelnden Prozessoren aus und fühlen sich als Teil einer großen wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Das macht Lust auf ähnliche Projekte. So gibt es laut Recherchen der Internet Professionell bereits „Smarti“ – Search for Marketing Intelligence. Hier füttern Wissenschaftler ihre Systeme mit Pressemitteilungen und Werbetexten, um inmitten des verbalen Rauschens der PR- und Marketing-Emitter Zeichen von Intelligenz zu finden. Das kostet Zeit, sind doch diese Anzeichen inmitten von Sätzen wie „Die hoch performanten Lösungen basieren auf der innovativen XML-Technologie“ und „Die All-in-one Grafik-Solution inklusive Dualhead Display und Environment Bump Mapping“ versteckt oder in krampfhaft die Marktführerschaft suchenden Ausdrücken wie „größte europäische Herbstmesse“ — genauso gut hätte „größte Messe östlich von München und westlich von Passau“ getan. Smarti ist ein ähnlich aussichtsloses Projekt wie Seti. Es ist unwahrscheinlich, auf Signale zu stoßen, die darauf schließen lassen, dass die Urheber nachdenken bevor sie etwas emittieren.

Auch Scardi verspricht ein Erfolg zu werden: Search for Car Drivers Intelligence. Hier sammeln Wissenschaftler Satelllitendaten aus dem Samstag-Vormtittag-Verkehr in Münchener Vororten. In den höchst komplexen Fahrmustern forschen weltweit Heimcomputer nach Anzeichen intelligenten Fahrverhaltens. Ein eigener Großrechner kümmert sich ergänzend um die Auswertung von Rangierdaten aus Parkhäusern.

Das nach Seti aufwendigste Projekt allerdings dürfte Sippt werden: Search for intelligent programs in private television. In den eigens dafür gemieteten Rechenzentren der NASA, des CERN sowie des Deutschen Wetterdienstes werden Daten aus „Die Reporter“, „Vera am Mittag“ oder „Big Brother“ gesammelt und für die Auswertung vorbereitet. Die Wissenschaftler sind gespannt, ob Seti oder Sippt den Wettlauf bei der Suche nach Intelligenz gewinnen.

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